Lincoln1

Abraham Lincoln 

Wenn die Sklaverei kein Unrecht ist,
gibt es überhaupt kein Unrecht.
Abraham Lincoln

Abraham Lincoln war von 1861 bis 1865 der 16. Präsident der USA. Es war sein Schicksal, in der Zeit der höchsten Not an der Spitze der Nation zu stehen, in der Zeit eines grausamen Bürgerkrieges, welcher letztlich das Ende der menschenunwürdigen Sklaverei brachte. Doch Lincoln konnte sein großes Werk, die Verwirklichung der Demokratie als einer Regierung „des Volkes durch das Volk und für das Volk “ nicht mehr zu Ende führen, weil er durch die Mörderhand eines Fanatikers sterben musste. 

Bescheidene Anfänge

Abraham Lincoln war ein außergewöhnlicher Mensch. Am 12. Februar 1809 in Hodgenville, Kentucky in einer armseligen Blockhütte geboren, schaffte er den Weg von ganz unten an die Spitze der Nation, damit er sein großes Werk vollbringen konnte. Seine Familie lebte in bitterster Armut. Die Mutter starb, als der Junge erst sieben Jahre alt war. Die sparsame, praktische  und energische Stiefmutter nahm danach die Kinder von Lincolns Vater in ihre Obhut. Schwere Arbeit bestimmte das Los den jungen Lincoln, denn er musste zum Unterhalt der Familie beitragen. Nachdem der Vater in die fieberverseuchten Urwälder Indianas ausgewandert war, musste er auf dessen neuer Farm mitarbeiten und auch auf anderen Farmen Zubrot verdienen. Noch sehr jung an Jahren erhielt Abraham im Laden an der Wegkreuzung Arbeit. Dort unterhielt er sich gerne auf lebhafte Weise mit den Kunden. Mit seinem Mutterwitz erlangte er bald bei der Bevölkerung den Ruf, dass es sich lohnte, ihm zuzuhören. 


Wissensdurst

Allerdings gab es betrübend wenig Gelegenheit um seinen persönlichen Wissensdurst zu stillen. In der Schule, in einem entlegenen Blockhaus, lernte er Lesen, Schreiben und etwas Rechnen. Unter den Buschfarmern und kleinen Händlern war niemand von besonderer Intelligenz und Bildung. Die wenigen Bücher, die es in seinem Umfeld gab, borgte er deshalb umso fleißiger. Besonders angetan hatten es ihm die Tierfabeln des Äsop, die er mehrmals las. Aus ihnen lernte er eine Sache knapp, konkret und zutreffend zu erzählen und seine Rede mit Gleichnissen auszuschmücken. Später las er auch Robinson Crusoe, ferner eine kurze Geschichte der Vereinigten Staaten und eine Biografie Washingtons. Der Stadtkonstabler gab ihm Gelegenheit “Die revidierten Gesetze und Verordnungen des Staates Indiana” zu studieren. Alles, was ihm an Gedrucktem in die Hände fiel, verschlang er und erregte bei Verwandten und Freunden größtes Erstaunen, wenn er sich nach der schweren Arbeit in eine Ecke der Blockhütte zurückzog, um dort neue Kenntnisse zu erwerben. Sehr schnell begann er aus den Büchern abzuschreiben und kleine Aufsätze zu verfassen.  Eines Tages sah er einen Knaben, der einer Schildkröte eine glühende Kohle auf den Panzer legte. Darauf schrieb er sofort einen Aufsatz über Tierschutz. Stets überraschte er seine Schwestern mit seinem neuen Wissen.


Lincoln zeigte bereits in jungen Jahren ein außerordentliches Rednertalent.  Bei Geselligkeiten wurde er bald durch seine Witze und drolligen Geschichten eine leitende Persönlichkeit. Die reisenden Wanderprediger konnte er auf humorvolle Weise parodieren. Mit siebzehn Jahren maß er bereits “sechs Fuß vier Zoll englisch in Strümpfen” und war muskulös und kräftig, aber er gebrauchte seine Kräfte niemals, um anderen Schaden oder Demütigungen zuzufügen. Jedenfalls war er in dieser ländlichen Gesellschaft sehr beliebt.


Die Frage der Sklaverei

Nach seiner Volljährigkeit verließ er seine Familie und fuhr als Schifferknecht nach New Orleans. Dort erlebte er eine Sklavenauktion, die er nie mehr vergessen sollte. “Das Herz blutete ihm”, wie einer seiner Freunde später schrieb: “Er sagte zwar nicht viel; er schwieg, aber er sah schlecht aus. Ich weiß bestimmt, dass er auf dieser Reise sein Urteil über die Sklavereifrage gebildet hat.  Damals im Mai 1831, bohrte sich ihm der Stachel dieser Ungerechtigkeit in die Seele. Ich habe es ihn oft sagen hören.” 


Später arbeitete er tageweise als Lotse auf dem Mississipi, als Commis in einem Laden oder einer Mühle, dazwischen war er auch arbeits- und ziellos. Der berühmteste Muskelheld und Rowdy des Landstiches nötigte ihn eines Tages sich mit ihm zu messen. Lincoln gelang es, seinen Herausforderer in dieser “muskelkräftigen” Auseinandersetzung zu besiegen. 


Als Lincoln dreiundzwanzig Jahre war, wurde er zum Hauptmann einer freiwilligen Kompagnie von Siedlern im Krieg gegen den berühmten Indianerhäupting Black Hawk gewählt. Eine alter Indianer verirrte sich ins Lager der Siedler-Kompagnie und Lincoln beschützte ihn unter Lebensgefahr, denn seine Leute wollten ihn sofort töten.


Politische Anfänge

Nach dem Krieg gegen Black Hawk wandte er sich der Politik zu. Seine erste Wahl verlor er, weil sich seine Beliebtheit noch nicht über das ganze Distrikt verbreitet hatte. Später arbeitete er als stellvertretender Feldmesser und Postmeister von New Salem, aber auch durch diese Tätigkeiten konnten er nicht der Armut entkommen. Er strebte weiter nach höheren Zielen. Einmal wanderte er meilenweit, um von einem Schullehrer ein Grammatikbuch zu borgen, damit er die Regeln der Sprache erlernen konnte. Nicht lange danach lieh ihm ein Rechtsanwalt Rechtskommentare, und er begann, mit dem ihm eigenen Fleiß Gesetzeskunde zu studieren. Bald war er so weit, dass er dem örtlichen Friedensrichter als Advokat dienen konnte, allerdings zunächst ohne Honorar.


Nicht lange danach wandte er sich erneut der Politik zu. Im Parlament von Illinois, nur von einem Mitglied unterstützt, sprach er sich nun mit deutlichen Worten gegen die Sklaverei aus, da “die Institution der Sklaverei, sowohl auf Ungerechtigkeit, als auf falscher Politik beruhe.” Carl Schurz, der ihn noch zu Lebzeiten kennen  lernte, schrieb: “Hieraus sprach nicht nur die nicht zu unterdrückende Stimme seines Gewissens, sondern auch wahrer sittlicher Mut, denn zu jener Zeit wurden in vielen Teilen des Westens Sklavereigegner wie dem Pferdedieb gleichgeachtet. Selbst “Abe Lincoln” wären seine Antisklavereigrundsätze kaum verziehen worden, wenn er nicht allgemein als “besonders guter, tüchtiger Kerl” bekannt gewesen wäre. „Hier aber wagte er es, getreu der großen Überzeugung seines Lebens, allein zu stehen, und zeigte jenen Mut, welcher für den Führer einer großen Sache ungedingt erforderlich ist.”
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Gerechtigkeitssinn

Auch seine Anwaltspraxis wuchs mit dem Ansehen des Politikers. Inzwischen war er von New Salem nach Springfield gezogen, wo sich der Regierungssitz befand. Damit erreichte er endlich großen Erfolg mit seiner Rechtsanwaltskanzlei, weniger durch seine juristischen Fähigkeiten, als durch seine Rechtschaffenheit und eine angesehene Stellung in der Gesellschaft. Selbst bei persönlichen Freunden weigerte er sich, wenn die Gerechtigkeit nicht auf ihrer Seite stand, diese zu vertreten. Wenn er wusste, dass seine Klienten im Unrecht waren, konnte es passieren, dass er die Rechtssache niederlegte. Wenn er hingegen die Unschuld verteidigte, dann erschloss er oft so unerwartete Quellen der Beweisführung, und seine Rede schwang sich zu solcher Glut und solcher zwingender Macht auf, dass er die Zuhörer in Verwunderung setzte, sie überwältigte und fast unwiderstehlich mit sich fortriss. Gebrauchte er auch nur alltägliches juristisches Argument, so machte das stets den Eindruck, als sei er innerlich von der Rechtmäßigkeit der von ihm vertretenen Sache vollkommen überzeugt. Es kann deshalb nicht wundernehmen, dass das bloße Auftreten eines so gewissenhaften Anwalts nicht nur bei den Geschworenen, sondern auch bei den Richtern die Annahme entstehen ließ, das Recht müsse auf seiner Seite sein, und alle Leute aus aufrichtiger Überzeugung begannen, ihn den “ehrlichen Abe Lincoln” zu nennen. Nachdem er einigermaßen zu Wohlstand gelangt war, heiratete er Mary Todd aus Kentucky. Auch wenn Lincoln bei seinen Landsleuten sehr beliebt war, ahnte noch niemand, dass er in der schwersten Stunde der Nation ihr Präsident sein sollte. 


Im Kongress

1846 wurde Lincoln in den Kongress gewählt. Gegen den damaligen Präsidenten Polk führte er bald im Repräsentantenhaus Anklage, weil dieser einen ungerechten Krieg gegen Mexiko geführt habe. Damit erregte er landesweites Aufsehen. Mit seinen witzigen Reden gab er dem ganzen Haus gelegentlich auch Anlass zu einem Amüsement.


Es begann wieder gegen die Sklaverei Stellung zu nehmen. Während der Legislaturperiode legte er einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Sklaverei im Distrikt Columbia vor und stimmte mehrfach für die Gesetzesklausel, die die Sklavenhaltung in den von Mexiko erworbenen Territorien verbot. 1849 war seine Laufbahn als Kongress-Abgeordneter beendet. Es belastete ihn, dass er nun nicht
s mehr zur endgültigen Abschaffung der Sklaverei beitragen konnte. Zunächst aber kehrte er wieder nach Springfield zurück und ging wieder seinem Anwaltsberuf  nach. 

Plötzlich stand die Sklavenfrage wieder auf der Tagesordnung als durch die „Kansas-Nebraska-Bill“ von 1954 der Sklavenhaltung in den Territorien der Vereinigten Staaten Tür und Tor geöffnet wurde. In den Nordstaaten überwog die Stimmung gegen die Sklaverei, dieses führte zur Gründung der Republikanischen Partei, welche die Antisklaverei auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Nun war die Stunde Lincolns nicht mehr fern. Er war bald der Wortführer dieser neuen Bewegung. Lincoln wurde jetzt anerkannter Führer der Whigs-Partei in Illinois, mit deren Stimmen er 1854 in den US-Senat kam. Zwei Jahre später wurde Lincoln im 1. Nationalkonvent der Republikaner für das Amt des Vizepräsidenten vorgeschlagen. 


Präsidentschaft

Im Jahre 1860 nominierte die Republikanische Partei ihn zum Präsidentschaftskandidaten. Die wichtigsten Punkte in seinem Wahlprogramm waren die Einschränkung der Sklaverei, Reformen im Innern und beim Zoll. Er gewann die Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gegen zwei andere Kandidaten. Nach Lincolns Wahl strebten zuerst South Carolina und dann sechs weitere Südstaaten ihre Sezession, die Ablösung von den Vereinigten Staaten an. Als designierter Präsident war Lincoln zu Zugeständnissen bereit, keinesfalls aber wollte er die weitere Ausbreitung der Sklaverei dulden. Der regierende Präsident Buchanan und auch der Kongress konnten keinen Kompromiss in dieser verfahrenen Lage finden, und die Abspaltung der Südstaaten im Februar 1861 nicht verhindern.



McClellan+AbrahamLincoln

Abspaltung der Südstaaten
 
Am 4. März 1861 trat Lincoln seine Präsidentschaft an. In seiner Antrittsrede sagte Lincoln: „In diesem Konflikt ist mehr enthalten als das Schicksal dieser Vereinigten Staaten. Es stellt sich für die ganze Menschheit die Frage, ob eine auf einer Verfassung beruhende Republik oder eine Demokratie – eine Regierung des Volkes durch dieses gleiche Volk – ihre territoriale  Integrität  gegen ihre Feinde im eigenen Land behaupten kann oder nicht. Es stellt sich die Frage, ob einzelne Unzufriedene, zu gering an der Zahl, um die Regierung auf irgendeine Weise nach organischem Recht zu übernehmen, ... nach Belieben ihren Staat zerbrechen und damit praktisch der freien Regierung  auf Erden ein Ende zu bereiten können“3 und, „dass kein Einzelstaat nach seinem Gutdünken, rechtens aus der Union ausscheiden kann4“ ... „In Euren Händen, meine unzufriedenen Landsleute, und nicht in meinen, liegt die folgenschwere Entscheidung über den Bürgerkrieg. Die Regierung wird Euch nicht angreifen. Ihr werdet keinen Konflikt haben, wenn Ihr nicht selbst Angreifer seid. Ihr habt dem Himmel nicht geschworen, den Staat zu zerstören, aber ich habe den feierlichsten Eid geleistet, ihn zu erhalten, zu beschützen und zu verteidigen”5

Im Süden hatte eine kleine Minderheit der Sklavenhalter die Macht ergriffen, und diese griffen den Norden bald mit Waffengewalt an. Lincolns wollte jede Provokation gegen die Südstaaten vermeiden und erwies sich als diplomatischer Staatsmann. So schaffte er es, 1861 die radikalen Sklaverei-Gegner zunächs
t zu beruhigen, und dann widerrief er die Befreiungspläne der Generäle John C. Frémont und David Hunter. 

Bürgerkrieg

Letztlich aber ließ sich das Ausbrechen des grauenvollen Bürgerkrieges, der von 1861 – 1865 dauerte, nicht verhindern. Lincoln bot den Grenzstaaten die Freilassung der Sklaven gegen Entschädigung an, doch sein Angebot blieb ohne positive Reaktion. Später wurde die Befreiung der Sklaven in erster Linie eine Kriegsmaßnahme. Die befreiten Sklaven konnten dadurch auch rekrutiert werden, obwohl Lincoln ursprünglich diese Maßname abgelehnt hatte. Am 22. August 1862 schrieb er noch an Horace Greely: „Mein oberstes Anliegen in diesem Zwist ist, die Union zu erhalten, und ist nicht die Sklaverei zu erhalten oder zu zerstören. Wenn ich die Union erhalten könnte, ohne einen einzigen Sklaven zu befreien, würde ich es tun; und wenn ich es tun könnte, indem ich alle Sklaven befreite, würde ich es tun; und wenn ich es tun könnte, indem ich einige befreite und andere ließe wie sie sind, so würde ich auch das tun.“
6 Das war Lincolns ganz klares Bekenntnis zur nationalen Einheit.
  
Nach dem Sieg von Antietam am 22.09.1862 verkündete er, dass alle Sklaven in den aufständischen Gebieten, also in den Südstaaten, “innerhalb von 100 Tagen für immer frei sein würden”. 1864 sprach er sich für die Aufnahme eines Zusatzes in die US-Verfassung zum Sklaverei-Verbot aus. Am 1. Januar 1865 wurde der Zusatz vom Kongress verabschiedet. Eine Seeblockade durch US-Schiffe verhinderte, dass Frankreich und England Waffen und Kriegsmaterial an die Südstaaten liefern konnten. In dem furchtbaren Ringen um Gettysburg wurde der Südstaatengeneral Lee zum Rückzug gezwungen. 

Gettysburg 

Auf dem Schlachtfeld hielt Lincoln am 19. November 1863 vor 150 000 Menschen die wohl berühmteste Rede in der Geschichte der Vereinigten Staaten: „Vor 87 Jahre gründeten unsere Väter einen neuen Staat, aus Freiheit geboren und dem Gedanken geweiht, dass alle Menschen gleich geschaffen sind. Nun sind wir in einen großen Bruderkrieg  verstrickt, der erweisen wird, ob dieser Staat auf Dauer bestehen kann. Wir sind auf einem großen Schlachtfeld dieses Krieges... mögen wir von diesen ehrwürdigen Toten lernen, uns mit noch größerer Hingabe der Sache zu verschreiben, für die sie alles gegeben haben; mögen wir den hehren Vorsatz fassen, dass diese Toten nicht umsonst gestorben sein sollen; möge die Nation mit Gottes Hilfe eine Wiedergeburt der Freiheit erleben, auf dass die Herrschaft des Volkes durch das Volk und für das Volk nicht untergehe auf dieser Erde.“
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Damit wir dies verstehen können, müssen wir uns in die Zeit Mitte des 19. Jahrhunderts zurückversetzen. Die Vereinigten Staaten hatten die einzige damals frei gewählte Regierung des Volkes; deshalb erinnerte Lincoln daran, dass alle Handlungen und Opfer immer auch symbolisch im Sinne der ganzen Menschheit gemeint seien. In Europa geschah damals meistens nur, was den herrschenden Monarchen gefiel. Hier in den USA ging es wirklich um die Entscheidung, ob das Unrecht der Sklaverei in der ganzen Menschheit für unabsehbare Zeit erhalten bliebe, denn bei einem Sieg der Rebellen hätte der globale Einfluss eines US-Sklavenhalterstaates das übrige dazu beigetragen. Dessen war sich Lincoln vollkommen bewusst. 


Kapitulation der Südstaaten

Die Nordstaaten hatten am Anfang des Sezessions-Krieges sehr viele Niederlagen und wenig Siege. Die Südstaatler verfügten über ein besseres Offiziercorps. Vielleicht war dies auch eine der Ursachen, warum die Südstaaten den Krieg in frevelhafter Weise beginnen und an ein besonders leichtes Spiel glauben konnten. 1864 ernannte Lincoln deswegen den besonders befähigten General Ulysses S. Grant zum Oberkommandierenden der Unionstruppen, der letztlich die Entscheidung zu Gunsten der Nordstaaten herbeiführte. 


Nach seiner Wiederwahl, in der Antrittsrede zur 2. Präsidentschaft am 4. März 1865 sagte Lincoln: „Ein Achtel der gesamten Bevölkerung waren Farbige Sklaven, die nicht über die ganze Nation verteilt, sondern in deren südlichem Teil konzentriert waren. Mit diesen Sklaven verband  sich ein besonderes  und mächtiges Interesse. Alle wussten, dass dieses Interesse auf irgendeine Weise die Ursache des Krieges  bildete. Dieses Interesse zu stärken, zu verewigen und auszudehnen, war das Ziel, wofür die Aufständischen bereit waren, die Union, selbst durch den Krieg, zu zerreißen; während die Regierung nur das Recht in Anspruch nahm, seine territoriale Ausdehnung zu begrenzen. 


Keiner von beiden erwartete, dass der Krieg den Umfang und Dauer annehmen würde, die er bereits jetzt erreicht hat. Keiner nahm an, dass die Ursache des Konflikts mit dem Ende des Krieges  oder noch vorher aufhören würde zu bestehen. Jeder erwartete einen leichteren Triumpf und ein weniger grundlegendes und überraschendes Ereignis. Beide Seiten lesen die gleiche Bibel und beten zu dem gleichen Gott; und jeder erfleht  seine Hilfe gegen den anderen. Es scheint seltsam, dass es Menschen gibt, die es wagen Gottes Beistand zu erbitten, damit sie ihr Brot aus dem Schweiß anderer Menschen herauspressen können; aber richtetet nicht, auf dass Ihr nicht gerichtet werdet. Es war unmöglich, dass beide mit ihrem Gebet in ihren Gebieten erhört wurden und keiner von beiden ist mit seinem Gebet ganz erhört worden. Der Allmächtige hat seine eigenen Absichten. ... 


Lasst uns danach streben, das Werk zu vollenden, in dem wir begriffen sind; die Wunden der Nation zu verbinden, für den zu sorgen, der die Last des Kampfes getragen hat, für seine Witwe und sein Waise – alles zu tun, was einen gerechten und dauerhaften Frieden unter uns selbst mit allen Nationen herbeiführen und erhalten kann.“
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Ein plötzliches Ende

Es war gewiss nicht im Sinne Lincolns die Wiedervereinigung mit den Südstaaten durch einen Krieg zu erringen, aber die Ereignisse verliefen anders als jeder erwartet hatte. Kurz vor dem Ende der Kampfhandlungen fiel Richmond, die Hauptstadt der Rebellen. 


Carl Schurz schrieb: „Am 9. April 1865 unterschrieb der Südstaaten-General Lee die Kapitulationsurkunde. ... Im Norden  waren die Leute vor Freude fast von Sinnen. Überall donnerten Freudenschüsse und erklang festliches Glockengeläute, überall drängte sich eine dankerfüllte, jubelnde Menge auf die Straßen. 


Da plötzlich drang durch das ganze Land die Kunde von der Ermordung Abraham Lincolns. Das Volk war wie betäubt von diesem Schlage. Dann aber erhob sich ein solch Wehgeschrei des Schmerzes, wie es Amerika noch nie gehört hatte. Tausende von Familien im Norden trauerten, als ob sie ihr teuerstes Familienmitglied verloren hätten; und mancher Einsichtige im Süden rief schmerzlich bewegt aus, dass mit Abraham Lincoln seinem Volke in der bittersten Not und Demütigung der beste Freund geraubt worden sei. 


Es war als ob die zärtliche Liebe, die seine Mitbürger für ihn hegten, auch in fremden Nationen ähnliche Gefühle hervorgerufen hatte. Die ganze zivilisierte Welt stand trauernd und erschütternd  an der Bahre des toten Präsidenten. Viele, sowohl in der Heimat wie im Auslande, die ihn vor kurzem noch lächerlich gemacht und geschmäht hatten, waren nun bemüht, ihn hochzupreisen, und in dem allgemeinen Chor der Klage und des begeisterten Lobes war keine Stimme, die nicht in aufrichtiger, schmerzlicher Rührung zitterte. Seid Washingtons Tod war niemals  eine solche Einstimmigkeit im Urteil über die Tugenden  und die Größe eines Mannes  gewesen und sogar Washingtons Tod hatte, trotzdem sein Name mit noch größerer Ehrfurcht  genannt wurde, keine so teilnehmende Saite im Volksherzen berührt.”
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Die letzten Sätze mögen zwar leicht übertrieben sein, aber der Text gibt wohl den Grundtenor der Stimmung wieder.  Als die Menschen, Farbige wie Weiße, noch auf den Straßen feierten, widmete sich Lincoln bereits harter Arbeit, um das verwüstete Land wieder aufzubauen. Der Süden sollte und musste sich auch an die Zukunft ohne Sklavenarbeit gewöhnen.


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Mordattentat

Nur wenige Tage nach der Unterzeichnung der Urkunde zur bedingungslosen Kapitulation, am 14. April, hatte Lincoln mit seiner Frau und einigen Freunden eine Vorstellung des Washingtoner Fordtheater besucht. Lincoln wurde bei seinem Erscheinen in der Präsidentenloge von anhaltenden Ovationen empfangen. Deswegen entfernte sich sein Leibwächter, ein nicht mehr gut zu machender Fehler. Der Attentäter, ein fanatischer Schauspieler und Anhänger der Südstaaten-Rebellion, konnte sich in die Loge einschleichen, wo er den Präsidenten meuchlings erschoss. 

Unvollendetes Werk
 
Lincoln hatte bereits im März 1865 einen fertigen Plan für die zivile Reorganisation der Angelegenheiten in den Südstaaten, der in Kraft treten sollte, sobald der Krieg vorbei war. Die Rechte der Bürger sollten sofort garantiert sein, wenn die Streitkräfte der Rebellen ihre Waffen niedergelegt hätten und wieder in ihre zivilen Berufe zurückkehrten. Seine Generäle Grant und Sherman standen voll hinter seiner hochherzigen Versöhnungspolitik. Lincoln wurde aber an der Vollendung seines großen Werkes durch Mörderhand gehindert. Wären diese Pläne Realität geworden, wäre der spätere Rassimus in den USA sicher wesentlich milder ausgefallen, wenngleich er wohl auch bis heute nicht völlig verschwunden wäre. 

Der Autor Erich Angermann schrieb: „So hat die Gesellschaft der Vereinigten Staaten nicht, wie es seinem hochgestimmten Nationsverständnis entsprochen hätte, ein „‚
rebirth of freedom under God" erlebt, sondern ein Zeitalter des gesellschaftlichen und persönlichen Eigennutzes." Die große Seele Abraham Lincoln  war zwar nicht gescheitert, aber konnte ihr großes Werk nicht fortsetzen.

Shri Mataji Nirmala Devi resümierte in Ihrem Buch: „So wurde also die Vision Abraham Lincolns wie die Visionen aller großen Heiligen und Propheten komplett ins Gegenteil verkehrt. Die Demokratie ist in unserer modernen, geldbesessenen Gesellschaft entartet. Sämtliche zu Beginn verkündeten, edlen Grundsätze verschwanden im Nebel zänkischer Diskussionen, geführt auf rund um den Erdball stattfindenden Konferenzen, mit denen man die Probleme der Demokratien lösen will. Die Begründung und Festigung höherer ethischer Werte – ursprünglich oberstes Gebot einer jeden Demokratie – hat auf der Tagesordnung keinen Platz mehr.“ 


Lincoln hatte einen ausgeprägt starken Gerechtigkeitsinn. Auch wenn dieser angeboren war, so hat dieser doch etwas mit Spiritualität zu tun, wie auch Shri Mataji Nirmala in dem Dokumentarfilm „Freedom and Liberation“, den kürzlich das Fernsehen zeigte, aussagte. Sie selbst kämpfte gewaltlos gegen das Unrecht an der Seite Mahatma Gandhis für Freiheit und Unabhängigkeit Ihres Landes. Das ausgeprägte Versöhnungsverhalten, das Lincoln zweifellos auch hatte, zeigt den erleuchteten Menschen, auch wenn ihm das selber nicht bewusst war. Sein göttlicher Auftrag war die Abschaffung der Sklaverei. Seine Präsidentschaft war kein Zufall. In der Geschichte der Welt ist es oft vorgekommen, dass eine große Seele inkarnierte, um eine neue Entwicklung anzustoßen. Sehr oft wurden solche Menschen letztlich ermordet. Lincoln wusste nichts von Chakras oder gar der Kundalini. Aber dies war für seine Aufgabe ohne Bedeutung.

D. Storz

3 Schurz: 1908. 14

4 Gerhard: 1965, 54
5 Gerhard: 1965, 53
6 Gerhard: 1965, 55
7 nach www.uni-paderborn.de/Admin/corona/chris/LincolnANDI.html
(an anderer Stelle abweichend übersetzt)
8 Gerhard: 1965, 64f.
9 Kuczynski: 1985. 166
10 Kuczyinski 1985, 166

11 Das Metamodernes Zeitalter 2000, 83

Literatur:
Shri Mataji Nirmala Devi: Das Metamoderne Zeitalter. Dallgow 2000
Schurz, Carl: Abraham Lincoln - Berlin 1908
Kuczynski, Jürgen: Abraham Lincoln – Berlin 1985
Gerhard, Dietrich: Abraham Lincoln und Sklavenbefreiung 1965 (Mit Anhang: Briefe, Reden...)
Angermann, Erich: Abraham Lincoln und die Erneuerung der nationalen Identität der
Vereinigten Staaten von Nordamerika – München 1984